Selbst bei einem seriösen Astrologen, der sehr viel Zeit und Sorgfalt auf die Erstellung und Deutung eines Horoskops verwendet hat, kann es passieren, dass die Deutung nicht zu stimmen scheint. Entweder streitet der Klient Teile der Deutung ab oder der Astrologe merkt, dass etwas mit seiner Deutung nicht zu stimmen scheint. Die meisten Menschen denken dann, dass dies ein Beweis für die Untauglichkeit der Astrologie, der astrologischen Methodik ist. Aber ist das wirklich so? Bedeutet eine mangelnde Übereinstimmung zwischen der Deutung des Astrologen und der (subjektiven) Realität des Klienten tatsächlich ein Versagen der Astrologie? Oder könnte es auch andere Ursachen geben? Eine neue persönliche Erfahrung schloss vor wenigen Wochen einen Kreis zu einer Erfahrung, die am Anfang meiner astrologischen Karriere liegt. Dabei zeigte sich, dass eine fehlerhafte Deutung bzw. eine Diskrepanz zwischen Deutung und Realität nicht unbedingt auf ein Versagen der astrologischen Methodik hinweisen muss. Was war passiert?
“Das Horoskop - seine Deutung und Bedeutung” von Bernd A. Mertz, der sich damals noch einfach B.A. Mertz nannte, war eines der ersten Bücher, das ich mir kaufte, als ich begann, mich ernsthaft mit Astrologie zu beschäftigen. Bernd A. Mertz erklärte dem Leser in diesem Buch seine astrologische Kombinationslehre. Diese war beeindruckend. Und er erklärte dem Leser auch, dass er das sogenannte äquale Häusersystem verwendete und warum. Beim äqualen Häusersystem sind alle Häuser genau 30 Grad groß. Und nur in diesem Häusersystem fallen die Himmelsmitte und die Spitze des 10. Hauses nicht unbedingt zusammen. Im Gegenteil! Die Himmelsmitte fällt häufig sogar nicht in das 10. Haus, sondern ein anderes. Bei mir fällt die Himmelsmitte in das 11. Haus. Und genau das war Anfang der 1980er Jahre, als ich meine intensive Beschäftigung mit der Astrologie begann, ein Problem. Denn das 11. Haus ist das Haus der Freundschaften, der sozialen Aktivitäten. Demzufolge sollte ich ein sehr sozialer Mensch sein, der anderen Menschen gerne hilft und dem überdies seine Freunde wichtig sind und der auch viele Freunde hat. Ich aber war alles andere als sozial eingestellt. Ich war ein Einzelgänger, der sich nichts aus seinen Mitmenschen machte. Ich hatte auch keinen Freund, nicht einen einzigen. Die Astrologie - und das äquale Häusersystem im Speziellen - schien also in diesem Punkt völlig zu versagen. Und ein weiterer Punkt schien nicht zu meinem Charakter zu passen. Nach dem äqualen Häusersystem ist mein 8. Haus stark betont. Denn dieses ist mit 3 von 10 Planeten besetzt. Nun symbolisiert das 8. Haus u.a. Sexualität, die Themen Macht und Ohnmacht, das Okkulte und Verborgene sowie Transformation. Ich konnte Anfang der 1980er Jahre überhaupt nichts davon in meinem Leben erkennen. Sexualität interessierte mich nicht, die Themen Macht und Ohnmacht kamen in meinem Leben scheinbar nicht vor, das Okkulte und Verborgene interessierte mich als angehenden Naturwissenschaftler nicht wirklich. Und von einer Transformation schien ich auch sehr weit entfernt. Damit passte diese Planetenballung im 8. Haus überhaupt nicht. Und ich versuchte herauszufinden, ob andere Häusersysteme, die von anderen Astrologen verwendet wurden, bessere Ergebnisse erzielten.
So probierte ich zunächst das Häusersystem nach Koch aus. Dieses war nur deshalb meine erste Wahl, weil es das einzige war, für das in Deutschland die entsprechenden Tabellen existierten. (Bitte beachten: Anfang der 1980er Jahre gab es noch keine Personalcomputer. Da war Handarbeit angesagt.) Dieses Häusersystem löste zwar das vermeintliche Problem mit der Himmelsmitte. Aber auch in diesem Häusersystem war mein 8. Haus mit (denselben) 3 Planeten besetzt. Damit war dieses Häusersystem für mich eine Sackgasse. Ich musste weitersuchen.
Viele Astrologen auf der Welt schienen das Häusersystem nach Placidus zu benutzen. Deshalb wollte ich auch dieses System ausprobieren. Doch das gestaltete sich als schwierig. Denn in ganz Deutschland gab es keine Tabellen für dieses Häusersystem. Sie wurden einfach für Deutschland nicht aufgelegt, da deutsche Astrologen wohl ausschließlich das Häusersystem nach Koch zu nutzen schienen. Mit viel Mühe und mit der Unterstützung von Elizabeth Teissier, die damals gerade auf dem Weg zur Starastrologin war und die ich auf Umwegen per Brief um Hilfe gebeten hatte, gelangte ich über einen französischen Verlag in den Besitz von Häusertabellen nach Placidus.
Dieses System schien zu funktionieren. Auf einmal “landeten” die 3 Planeten, die bislang immer im 8. Haus gestanden hatte, im 7. Haus, dem der Partnerschaft, der anderen. Dort schien ihre Bedeutung besser zu passen. So glaubte ich zumindest. Und jahrzehntelang erstellte ich nach diesem System erfolgreich Horoskope. Bis eines Tages …
Nach mehr als drei Jahrzehnten stolperte ich wieder über das Häusersystem nach Koch. Denn in den vergangenen Jahrzehnten hatte ich einiges erlebt. Und auf einmal schien eine starke Besetzung des 8. Hauses völlig logisch zu sein. Denn die Themen Macht und Ohnmacht schienen eine wahre Konstante in meinem Leben geworden zu sein. Ich erkannte rückblickend, dass ich Zeit meines Lebens mit diesen Themen zu tun gehabt hatte, selbst am Anfang der 1980er Jahre und sogar davor. Es ging bis tief in meine Kindheit zurück. Auch das Thema Sexualität erschloss sich mir auf einmal astrologisch. Und ich entdeckte noch einiges mehr, das zur Bedeutung des 8. Hauses für mich passte. Und so begann ich vor etwa 3 Jahren wieder das Häusersystem nach Koch zu nutzen. Bis, ja, bis ich vor ein paar Wochen noch einmal das äquale Häusersystem nach Bernd A. Mertz ausprobierte.
Und dieses Mal machte auch die Himmelsmitte im 11. Haus Sinn. Denn ich war zu einem sozialen, hilfsbereiten Mann geworden. Mir war es sehr wichtig, anderen Menschen zu helfen. Dieses Helfenwollen hatte mich mein ganzes Leben begleitet, zunächst als Nachhilfelehrer, dann im Studium als wissenschaftliche Hilfskraft und zu guter Letzt in den letzten zwölf Jahren als Mitglied im Betriebsrat. Und so war ich auf einmal wieder am Anfang. Dort, wo alles begann. Nur ein paar Tage zuvor hatte ich erst auf einmal erkannt, dass dieses Helfenwollen viele meiner früheren Berufswünsche verband: Pfarrer, Lehrer, Arzt, Rechtsanwalt. Auf einmal machte alles einen Sinn.
Warum passte nun alles auf einmal? Und warum hatte es früher nicht gepasst? Die Antwort darauf lautet: das Leben und die Erfahrung. Mit Anfang 20 war ich einfach noch zu jung gewesen, als dass sich mein Charakter hätte völlig entfalten können. Es fehlten einfach noch viele und wichtige Erfahrungen, die ich erst später in meinem Leben machen sollte. Aber der Same war seit meiner Geburt bereits gelegt worden. Man konnte die Entwicklung im Horoskop sehen. Oder genauer gesagt, die Richtung, das Ergebnis dieser Entwicklung.
Somit lautet mein Fazit: Unstimmigkeiten zwischen der Deutung eines Astrologen und der (empfundenen) Realität deuten nicht unbedingt auf einen Fehler im astrologischen Modell hin. Es kann einfach sein, dass der betreffende Mensch, die für die Deutung wichtigen Entwicklungen noch nicht gemacht hat. Das kann aber ein Astrologe, der ein Blindhoroskop erstellt, nicht sehen. So etwas kann sich nur aus einem persönlichen Gespräch, einer persönlichen Beratung ergeben. Und es braucht einen sehr erfahrenen Astrologen.
Eine Frage wird den interessierten Leser allerdings vermutlich immer noch in ihren Bann ziehen. Wie konnte ich mit einem “falschen” Häusersystem (Placidus) über Jahrzehnte “korrekte” Deutungen erzielen? Nun, das Häusersystem war nicht im engeren Sinne falsch, genauso wie die Deutungen nicht wirklich falsch waren. Je nach dem Geburtsort des jeweiligen Menschen, für den ich das Horoskop deutete, unterschieden sich die einzelnen Häuser nach den verschiedenen Systemen nur wenig. Und abhängig von der Position der Planeten fielen diese trotz unterschiedlich großer Häuser gar nicht in unterschiedliche Häuser. Bei mir hingegen war es extrem gewesen. Und meine Deutungen waren auch mit dem Häusersystem nach Placidus aus demselben Grund nicht falsch gewesen. Sie waren nicht so exakt und treffsicher wie mit dem äqualen Häusersystem. Es fehlten ein paar Feinheiten, die das äquale Häusersystem liefern konnte, die anderen hingegen nicht.
Und somit habe ich nach etwa 37 Jahren mein astrologisches Skalpell gefunden: ein Häusersystem und eine Deutungsmethode, die unglaublich präzise ist, die aber immer auch den Dialog mit dem Horoskopeigner benötigt.